Blackout: Ein Tag ohne Strom und Wasser


WURMSBACH – Der Talent-Campus Zürichsee startete mit einem Blackout-Day ins zweite Semester. Was es bedeutet, einen Tag ohne Strom und Wasser zu verbringen, haben Jugendliche und Lernbe­gleitende in einem Selbstversuch auf vielseitige Art und Weise getestet. Wichtigste Erkenntnis: Kein Wasser zu haben, ist das grössere Problem als keinen Strom. Eindrücke vor Ort.


Christoph Anrig

Talent-Campus Zürichsee, Semesterstart nach den Sportferien. Am Vormittag läuft alles wie gewohnt, courant normal. Nach dem Mittagessen dann die Überraschung: Regula Immler, Leiterin der Future Skills Ausbildung, lüftet das Geheimnis: «Morgen simulieren wir einen Blackout-Day, einen Tag ohne Strom und Wasser.»

Blackout-Szenarien

Die Jugendlichen werden in die Planung des Blackout-Days einbezogen, dürfen selbst entscheiden, welches Level sie meistern wollen: Szenario Beginner: «Stromausfall lokal, Tag 1» (Handy und Laptop sind so lange brauchbar, bis der Akku leer ist). Szenario Advancer: «Stromausfall regional, Tag 3» (Nur noch wenig Trinkwasser aus der Leitung, Brauch­wasser für die WC-Spülung aus dem See). Szenario Master: «Stromausfall national, Tag 6» (Wasser muss beim Zivilschutz-Zentrum geholt oder aus dem Zürichsee gefiltert werden.)

Anonyme Abstimmung

Um eine gute Entscheidung treffen zu können, machen sich die Jugendlichen in kleinen Gruppen ein Bild darüber, was die drei Szenarien im Einzelnen bedeuten würden. Und tragen über 30 Dinge zusammen, die auf einem Campus ohne Strom nicht mehr funktionieren würden: Automatische Eingangstüre, Pausensignal, Geschirr­spüler etc. Am Ende dann via Menti­meter-Umfrage eine anonyme Abstimmung. Das Ergebnis: Je sieben Jugendliche entscheiden sich für Szenario 1 oder 2, zwölf wollen Szenario 3 wagen.

Sensibilisierung

Klimakrise und Krieg sind allgegenwärtig. «Mit dem Blackout-Day wollen wir den Jugendlichen eine persönliche Lernerfahrung ermöglichen, um ihre Handlungs­fähigkeit im Bereich Nachhaltigkeit und Resilienz zu stärken», beschreibt Lernhaus­leiterin Katarina Gromova die Zielsetzung des Selbstversuchs: «Die Jugendlichen sollen unsere Abhängigkeit vom Strom erfahren, Energiekreisläufe kennenlernen und so fürs Stromsparen sensibilisiert werden.»

Analoge Pausenmusik

Am nächsten Morgen sind die elektrischen Türen beim Haupteingang verschlossen, als Eingang dient die Terassentür eines Nebenraums. Erste Heraus­forderungen: Wo Wasser herkriegen? Wie die WC-Spülung ohne fliessend Wasser betreiben? Licht in den WCs? Holz? Und wer macht analoge Pausenmusik auf dem Klavier? Ganz «old-school» startet der erlebnis­orientierte Unterricht mit einem Input der Gymnasiast:innen über die Grundlagen zu Strom, gefolgt von einer Besichtigung der Heizung mit Hauswart Felix Zuppiger, der als Leiter Infrastruktur und Technik viel über Heizsysteme, das Hallenbad, PV-Anlage, Energie­verbrauch und Sparpotential weiss.

Brownout in Kiew

Ein Highlight der besonderen Art ist der Talk mit Zhanna und Nika, zwei Frauen, die aus der Ukraine geflüchtet sind und seit ein paar Monaten im Internat wohnen. Sie berichten über das Leben im «Brownout» der ukrainischen Grossstädte Dnipro und Kiew, wo es aufgrund der zu geringen Spannung im Stromnetz immer wieder zu periodischen Stromausfällen kommt. Eine Art Stromplan illustriert, zu welchen Zeiten in welchem Stadtviertel Strom (nicht) vorhanden ist. Immer wieder sind die Wohnungen dunkel, gekocht wird mit einfachsten Mitteln. Dass genau zu diesem Zeitpunkt tausende Menschen in der Ukraine mehrere Stunden pro Tag ohne Strom leben, macht betroffen.

Älpler Maccaroni

Vor dem Mittagessen wird Holz gesucht und Feuer gemacht. Ohne Strom ist alles mühsamer. Und plötzlich ein Aufschrei: Der Wassertopf kippt mitsamt der Feuerschale auf die Seite. Ein kurzer Schreck­moment, eine schnelle Reaktion, Fehleranalyse und nochmals von vorne. Dieses Mal klappt es, das Wasser beginnt zu sieden. Eine halbe Stunde später duftet es nach Älpler Maccaroni, der Coleslow (Krautsalat) aus regionalen Produkten ist noch über den ganzen Tisch verteilt. Pünktlich um 12.30 Uhr dann der Lohn für den Einsatz: «En Guete!» Bei Sonnenschein am Zürichsee lässt sich auch ein Stromausfall geniessen.

Handypause

Zeit für einen ersten Erfahrungs-Austausch. «Es ist nicht so schlimm, weil wir wissen, dass es nur simuliert ist», ziehen Jugendliche ein erstes Fazit. «Ich habe noch nichts getrunken, damit ich nicht aufs WC gehen und mühsam Wasser holen muss», verrät eine Lernpartnerin ihre Taktik und geniesst die Sonne im Gesicht. Was wäre wohl, wenn Winter wäre? Kontrovers wird das Thema Handy diskutiert. «Weil man nicht ständig am Handy sein kann, haben wir mehr Gespräche miteinander», freut sich eine Jugendliche. «Solange ich beschäftigt bin, brauche ich das Handy nicht. Aber wenn es langweilig wird, dann vermisse ich es schon", ergänzt ein anderer.

Life-Hacks bei Stromausfall

Das Abwaschen entpuppt sich als Heraus­forderung: zu wenig sauberes, warmes Wasser, alles bleibt schmierig. Jede/r soll das eigene Geschirr selbst abwaschen, wird kurzfristig entschieden. Eine lange Warteschlang vor dem Abwaschbecken ist die Folge davon. Am Nachmittag stehen handlungsorientierte Life-Hacks zur Auswahl: aus einer Alubüchse einen Hobo-Ofen bauen, um Pancakes zu backen; aus Babybel und Orangen Kerzen basteln; aus einer Getränke­dose einen Spritkocher bauen, um Kaffee und Tee zu kochen; aus einer Zitrone Batterien herstellen, um LED zum Leuchten bringen; oder mit einer Wärmebild-Kamera die Isolation im Haus überprüfen.

1000 Liter Wasser gespart

Nach sieben Stunden machen sich bei den meisten Erschöpfungs­anzeichen bemerkbar. «Kein Wasser zu haben, ist das grössere Problem als keinen Strom», werden sich die Teilnehmenden bewusst. «Laut Messgerät haben wir an diesem Tag 1'000 Liter Wasser gespart», verkündet Praktikantin Simona Sonder. Ein Tag ohne Strom und Wasser ist anstrengend und heraus­fordernd: Man muss viel wissen, viel planen, viel organisieren, für alles eine Lösung finden. Ein Jugendlicher bringt sein Fazit auf den Punkt: «Ich hoffe, das passiert erst in 100 Jahren.»