RAPPERSWIL-JONA – Als jüngstes Mitglied des Vereins «Gewerbe Rapperswil-Jona» nutzte der Talent-Campus Zürichsee als Gastgeber eines Info-Lunches die Gelegenheit, um die Anliegen und Interessen der Mitglieder kennenzulernen und die Brücke zwischen Bildung und Wirtschaft zu stärken. Ein Rundgang durch einen Campus, der sich seit eineinhalb Jahren im Aufbau befindet.
Von Mark Riklin
Im Foyer des Talent-Campus Zürichsee, kurz vor 11 Uhr. Langsam füllt sich die Eingangshalle, der Lärmpegel steigt, die Pausenglocke rockt. Imagine. «Stellen Sie sich eine Schule vor, die über den Tellerrand des traditionellen Unterrichts hinausblickt – eine Schule, die persönliche Leidenschaften ernst nimmt, hilft, Talente zu finden und zu fördern, und die Schüler darauf vorbereitet, verantwortungsvolle Rollen in Gesellschaft und Arbeitswelt zu übernehmen», begrüsst Lernhaus-Leiterin Katarina Gromova die Gäste des Vereins «Gewerbe Rapperswil-Jona» (GWRJ). Seit bald zwei Jahren seien sie auf dem Weg, so eine Schule zu werden. Und heute biete sich für die Gäste die Gelegenheit, in einzelne Facetten dieses Bildungsansatzes hineinzuschnuppern.
Station 1: Selbstverantwortung
Zehn jugendliche Guides in schwarzen T-Shirts stehen bereit, werden mit ihren Träumen und Berufszielen vorgestellt, bevor sie eine Gruppe übernehmen und auf ihrem Spaziergang durchs Lernhaus begleiten. Katarina Metlar (16), seit letztem Sommer im ersten Gymi, führt ihre Gruppe die Treppen hoch ins Lernatelier, wo Leif Niederreuther (18) seinen Arbeitsplatz mit Blick auf den Zürichsee vorstellt und davon schwärmt, wie gerne er hier arbeite. Als «Master of Learning» könne er selbst entscheiden, wie und wann er lerne, die Verantwortung liege ganz bei ihm. Und liefert damit das entscheidende Anliegen des Bildungsverständnisses: schrittweise die Verantwortung und die Regie für das eigene Leben übernehmen. «Das ist eine gute Vorbereitung für die Wirtschaft», kommentiert ein Gast den Ansatz.
Station 2: Talentförderung
Klavierklänge locken in die Aula des ehemaligen Internatsgebäudes. Caterina Garcia (15) sitzt am weissen Steinway-Flügel, unterbricht ihr virtuoses Spiel, als die Gruppe näherkommt. Fünf bis sechs Stunden sitze sie täglich am Klavier, erzählt Caterina, die Konzertpianistin werden will und deshalb einmal wöchentlich nach Genf in die Klavierstunde fährt. Ein massgeschneiderter, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittener Stundenplan mache das möglich. Am TCZ sei es möglich, längere Wege zu nehmen, sprich den Stoff des ersten Gymi-Jahres auf zwei Jahre zu verteilen. Ein Gast wünscht sich beim Herauslaufen musikalische Begleitung, worauf die Gruppe die Aula beschwingt Richtung Mensa verlässt.
Station 3: Gestaltete Umgebung
«Der Raum ist der dritte Pädagoge», sagte schon der Reformpädagoge Loris Malaguzzi. «Auch am Talent-Campus Zürichsee spielt die gestaltete Umgebung eine zentrale Rolle», sagt Lernhausleiterin Katarina Gromova, «je nach Raum-Atmosphäre werden Prozesse begünstigt oder erschwert». Und verweist auf den Raum «Seesicht», der auch für Sitzungen und Co-Working-Anlässe an Externe vermietet werde. Wer den Geist öffnen und die eigenen Gedanken durchfluten will, findet hier eine inspirierende Umgebung. «Und Jugendliche, die für Projekte gebucht werden können, um die Sicht der jungen Generation miteinzubeziehen», ergänzt Unternehmensentwicklerin Pia Wälti, die sich für die Verzahnung mit dem Gewerbe einsetzt.
Station 4: Coaching
In der Denk-Bar. Ein besonders wichtiger Eckpfeiler des Bildungsverständnisses sei das Coaching, sagt Daniela Scherrer, die u.a. für den Aufnahmeprozess und die Begleitung der Jugendlichen verantwortlich ist. Ziele definieren, Wege festlegen, Herausforderungen thematisieren: Für diese Prozesse stehe allen Jugendlichen ein persönlicher Coach zur Verfügung, der sie in der Persönlichkeitsentwicklung begleite. Das lösungsorientierte Coaching fokussiert auf Wünsche, Ziele und Ressourcen und vertritt die Grundhaltung, dass die Verantwortung für Veränderungsprozesse beim Coachee selbst liegt. Je nach Situation und Entwicklungsstand der Jugendlichen brauche es etwas mehr oder weniger Unterstützung.
Station 5: Connecting
«Wir sind keine klassische Schule», sagt Manuela Schönenberger, Leiterin der Futura (9./10. Schuljahr) im Verweis auf die interaktive Installation im Eingangsbereich. «Alle, die hier ein- und ausgehen, können auf dem Netzwerk ihre Spur hinterlassen, seien dies Jugendliche, Mitarbeitende, ukrainische Gäste, Schwestern aus dem benachbarten Kloster oder die heutigen Gäste des Gewerbevereins. Und interessante Schlüsse ziehen: «Jene, die von mehr Geld träumen, haben auffallend oft auch gerne Sushi.» Eine Besucherin nimmt den roten Faden in die Hand, verbindet passende Statements zu ihrer persönlichen Identität (Herkunft, Persönlichkeitstyp, Berufsziel, Traum etc.) und landet wie alle Vorgänger:innen bei der Einzigartigkeit jedes Menschen, dem Menschenbild des Talent-Campus Zürichsee.
Station 6: Future Skills
Im Chamber of Creation, der Trainingsstätte der Future Skills. «Am besten lässt sich Zukunft voraussagen, wenn man sie selbst gestaltet», zitiert Regula Immler, Leiterin der Future Skills Ausbildung den amerikanischen Wissenschaftler Alan Kay. Dafür eigne sich in erster Linie Projektunterricht, am besten anhand realer Aufträge. Aktuelles Beispiel ist die Mitarbeit bei den «Green City Days», die in einem Jahr in Rapperswil-Jona stattfinden sollen. Auftraggeber Michael Rüegg, Architekt und Mitglied des Gewerbevereins, ist es ein Anliegen, die Perspektive der jungen Bevölkerung von Anfang an miteinzubeziehen. Und so streifen die Jugendlichen seit ein paar Wochen als Locationscouts durch Rapperswil-Jona und machen Orte ausfindig, die eine Aufwertung verdienen.
Station 7: Apéro riche
Makerspace. Auf Werkbänken ist ein reichhaltiges Buffet aufgetischt, zubereitet von Yevheniia Soroka, einer vorübergehend im Kloster wohnhaften ukrainischen Konditorin, und ihrem Team. An der Frühlingssonne tauschen Mitglieder des Gewerbevereins ihre Eindrücke aus. «Bei uns wurde noch reingeknüttelt», erinnert sich ein Geschäftsinhaber an seine Schulzeit. «Die Welt entwickelt sich weiter, Frontalzeugs kannst du heute vergessen», entgegnet dessen Gegenüber. Salome Ziegler, Vorstandsmitglied GWRJ, macht den Veranstaltern ein grosses Kompliment: mega professionell sei dieser sympathische Einblick in den Alltag des Talent-Campus Zürichsee gewesen, und habe Lust gemacht, in Zukunft selbst Jugendliche auszubilden, sagt die Geschäftsinhaberin der Agentur Fritz GmbH. «Schade, bin ich schon zu alt, hier wäre ich gerne zur Schule gegangen.»
Nachlese in der Linth24
«Während des ganzen Rundgangs war die besondere Atmosphäre dieses Ortes offensichtlich, erfüllt mit fröhlichen, gelassenen und hochmotivierten Jugendlichen, die ihre mannigfaltigen Talente in einem für die idealen Umfeld ausleben können», schreibt Journalist Markus Arnitz in seinem Bericht für die Linth24. «Der Campus sucht die Zusammenarbeit mit Gewerbe, Handel und Industrie, um den Jugendlichen Gelegenheiten zu bieten, einen Einblick in den Berufsalltag zu bekommen.»