Wynter
Phoenix

Professioneller Cosplayer

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«Ich bin mein eigenes Studio»

REBSTEIN – Zufällig geriet Lia alias Wynter Phoenix vor sieben Jahren in eine Cosplay-Ver­anstaltung und fing sofort Feuer. Letzten Sommer machte sich die ausgebildete Mediama­tikerin (2014-2018) selbständig und lebt seither als professionelle Cosplayerin. Ein Zoom-Gespräch mit Mark Riklin.

Der Interview-Termin platzt mitten in die Vorbereitungen auf die bevor­stehende Abreise nach Holland. Morgen früh um 4 Uhr geht es los Richtung Utrecht, wo Wynter Phoenix an diesem Wochenende im Rahmen der «Heroes Dutch Comic Con» als Co-Moderatorin einer grossen Cosplay-Competition auftritt. Bereits ab morgen Mittag sollen auf der Bühne Vorproben stattfinden, die Technik getestet, Choreos einstudiert und Laufwege abgesprochen werden.

Entdeckung am Polymanga-Festival

Bis dahin gibt es noch allerhand zu tun: Kostüme fertigstellen, den Modera­tionsplan durchgehen, einzelne Speech-Elemente verinnerlichen. Und Interview-Fragen beantworten. Von Cosplay habe ich bisher noch nie gehört, gestehe ich. Eine Disziplin, die offensichtlich nicht zum Vokabular meiner Generation gehört. Wynter Phoenix (24) beruhigt mich, auch die älteren Damen im unteren Stock ihrer Wohnung hätten den Begriff nicht gekannt, sagt sie mit einem charmanten Lächeln, während die Katze zum zweiten Mal über den Schreibtisch schwänzelt und den Bildschirm zwischenzeitlich verdunkelt.

Es wird wieder hell. Cosplay ist eine japanische Fanpraxis, die bereits in den 1990er Jahren nach Europa kam und inzwischen auch in der Schweiz eine beachtliche Community hat. Cosplayer*innen stellen durch ein Kostüm und Verhalten eine Figur aus einem Comic, Film oder Videospiel möglichst originalgetreu dar. Ein Genre zwischen Handwerk, Kunst und Schauspielerei. Entdeckt hatte Wynter Phoenix Cosplay eher zufällig, als sie 2015 eine Kollegin an das Polymanga-Festival nach Montreux begleitete, da sich diese nicht alleine traute. Voller Bewunderung sah sie den Cosplayer*innen zu, realisierte, «die machen ja alles selber», und entschied aus dem Bauch heraus: «Das will ich auch»

660'000 Followers auf TikTok

Und so begann Wynter Phoenix, Kostüme zu entwerfen, sich Schritt für Schritt in das vielseitige Handwerk einzuarbeiten und erste Auftritte zu planen. Nach Erfahrungen in der Schweiz und Deutschland folgte 2017 in Belgien anlässlich der «FACTS Comic Con» der erste Vollerfolg. «Als ich als Siegerin des Wettbe­werbs auf die Bühne gebeten wurde, hatte ich vorerst gar nicht verstanden, worum es ging», erinnert sich Wynter Phoenix, viel zu überrascht sei sie gewesen.

«Anfangs war das Cosplay für mich nur ein Hobby, aber bald merkte ich, dass ich bereit war, mehr Zeit und Mühe in dieses Hobby zu investieren als in alles andere. Und so war der Entschluss schnell gefasst, dass ich einen Weg finden musste, diese Leidenschaft zu meinem Beruf zu machen.» Im August 2021 machte sich Wynter Phoenix selbständig, lebt seither als profes­sioneller Cosplayer. Auf TikTok hat sie bereits über 660'000 Followers, auf Instagramm bald 20'000 und auch auf dem Youtube- und Patreon-Kanal «Wyntemo» steigende Abo-Zahlen. Gemeinsam mit den Gagen an Events und als Influencerin lässt sich der Lebens­unterhalt bestreiten.

Mediamatisches Wissen als Fundament

Was Wynter Phoenix in ihrem neuen Beruf zugutekommt, ist ihre Berufs­ausbildung als Mediama­tikerin, die sie von 2014 bis 2018 bei den SBW Neue Medien durchlaufen hat. Das mediamatische Wissen habe ihr extrem geholfen, fast alles könne sie heute in ihrer Alltags­praxis anwenden, den Umgang mit Fotos, Videos, Websides, Sozialen Medien, Portfolios, Programmen wie Illustrator etc. «Ich bin sozusagen mein eigenes Studio», sagt Wynter Phoenix, während die Katze auf der linken Schulter Platz nimmt.

Am meisten profitiert habe sie von den vielen Projekten, immer wieder sei sie ins kalte Wasser geschmissen worden. Angela Höneisen, ihr damaliger Coach, habe sie kurzerhand als Projektleiterin eingeteilt, ohne sie zu fragen. Was sie zuerst erschrecken liess, verwandelte sich mit der Zeit in die überraschende Erkenntnis: «Ich kann das und es macht sogar Spass!» Bei den SBW Neue Medien habe sie viel Selbstver­trauen getankt, dafür sei sie sehr dankbar. «Ich kam als schüchternes Mädchen und ging nach vier Jahren als selbstbewusste junge Frau.»

Die Schweiz vertreten

Die Katze hat inzwischen das Weite gesucht. Voll und ganz auf die Karte «Cosplay» zu setzen, sei bis heute die richtige Entscheidung. «Ich könnte nicht glücklicher sein», sagt Wynter Phoenix, die es kaum erwarten kann, was die Zukunft bringt. Sie träumt davon, die Schweiz an den nächsten Europa­meister­schaften in Paris vertreten zu dürfen. Just heute Morgen ist die schriftliche Bestätigung eingetroffen, dass Wynter Phoenix am Ostersonntag in Montreux anlässlich der «Cosplay Groupe Polymanga 2022» an der Vorausscheidung teilnehmen kann. Und dies ausgerechnet dort, wo sie vor 7 Jahren erstmals Feuer gefangen hatte. Der Bogen schliesst sich.

www.wyntercosplay.com

Mark Riklin

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